Dienstag, 2. August 2011

How high can you jump? – Bürokratie und der lange Weg zum Ziel

Es schien mir einst, als wolle der bürokratische Hürdenlauf niemals enden, der mit meinem Austausch nach Atlanta einher ging und den ich im März 2011 begann (eigentlich schon im Oktober 2010, aber das würde hier zu weit führen). Und doch, das Licht am Ende des Tunnels ist nun eindeutig zu sehen. Aber richtig glauben kann ich es immer noch nicht, dass es bald losgeht, denn der Weg bis hierher war lang und oft mühsam. (Atlanta wurde zeitweise zu meinem Atlantis, auf ewig gesucht und nie gefunden, so erklärt sich der Titel dieses Blogs schon mal teilweise.)

Die letzten Monate waren geprägt von Papierkram, von und für Unis (deutschen und amerikanischen), Ämtern (ebenso), Behörden, Unternehmen und Individuen. Ich besitze mittlerweile einen roten Aktenordner, in dem alle Unterlagen, die ich für meinen Austausch an die Georgia State University zusammenstellen musste, abgeheftet sind, inklusive Auslandskrankenversicherungen, Finanzgeschäfte, universitäre Bestätigungen, Mietverträge, BaföG-Sammelsurien… im Grunde genommen bin ich mit dem Inhalt dieses Ordners ein gläserner Bürger und das ist ganz schön gruselig. Ich war ja auch immer Vertreter der Meinung, dass Vorratsdatenspeicherung und all der Kram gar nicht so schlimm sind, wenn man nichts zu verbergen hat. Diese Meinung habe ich bereits Mitte Mai revidiert, als mich die Georgia State University bat, 12.000 US Dollar Vermögen nachzuweisen, damit sie sicher gehen können, dass ich auch meinen Lebensunterhalt finanzieren kann. Nachweisen kann man das aber nur über original Kontoauszüge, und wir alle wissen, wie ungern man so etwas aus der Hand gibt, geschweige denn tausende Meilen weit weg schickt.

Überhaupt kann man in dem ganzen Antragswahnsinn das Gefühl bekommen, dass die USA einen gar nicht im Land haben wollen, so viele Stolperfallen und Ausnahmeregelungen und Sondernachweise gibt es da zu bewältigen. Und dann lassen die einen auch noch zwei Stunden lang auf das „entscheidende Interview“ im Konsulat warten. Das dauert dann exakt zwei Minuten, niemand schaut sich die ganzen schönen Unterlagen an, die man zusammengesammelt hat (die wollen nur wissen, ob man seine 130 Dollar Visumsgebühr bezahlt hat und Fingerabdrücke aller zehn Finger, die finden mich jetzt überall wieder!) und plötzlich steht man wieder draußen, ohne Reisepass, der einem dann innerhalb einer Woche mit der gewöhnlichen Deutschen Post wieder zugesandt wird. Wie sicher! Und das für das heiligste Ausweispapier des Bürgers! Aber die Tatsache, dass die Lieblingsfernsehserie meiner Sachbearbeiterin „Buffy“ war, über die ich ja meine allseits bekannte 70-Seiten-Bachelor-Arbeit geschrieben habe, verleitete mich dazu, ihr mal zu vertrauen und zu hoffen, dass mein Pass den Weg zurück zu mir finden würde.

Ich will mich auch gar nicht beschweren, denn immerhin hab ich das Visum bekommen, nur vier Tage später lag mein Pass in meinem Briefkasten, alle Dokumente, die ich bei meiner Einreise vorzeigen muss, bereits ordentlich eingeheftet. Meine Wartenummer U431 hat mich nicht im Stich gelassen. Auch wenn sie mich zeitweise in den Wahnsinn trieb, denn die Aufrufung der Nummern zum Schalter geschieht im US Konsulat keinesfalls in Reihenfolge, so dass man sich bei einem guten Buch hätte entspannen können, weil gerade erst U267 dran war. Nein, es gibt ein ausgeklügeltes „System“, je nachdem wann man seinen „Termin“ hatte (also ob man in der 9-Uhr-Gruppe oder der 11-Uhr-Gruppe oder der 13-Uhr-Gruppe ist etc.) und als wievielter dieser Gruppe man vorne am Eingang war, um seine Wartenummer in Empfang zu nehmen. In der Praxis sieht das dann so aus, dass die Nummern scheinbar wahllos hin- und herhüpfen und die eigene Nummer meist um ein oder zwei Ziffern verfehlen. Man starrt völlig paranoid ständig auf seinen Nummernzettel und die Anzeigetafel und hört gleichzeitig dem Pingen und der Lautsprecherdurchsage zu, die die Anzeigen auf der Tafel auch noch einmal durch gibt. Es pingt allerdings so annähernd viermal die Minute, so dass man nach dem Besuch des Konsulats wirklich ein bisschen kirre im Kopf ist. Und das kann man dann noch nicht mal twittern oder auf Facebook stellen, denn ein Handy (oder anderes elektronisches Gerät) durfte man ja nicht mal in die Nähe des Gebäudes bringen. Der Innenraum des US Consulate General Frankfurt wird also all jenen, die nie drin waren, für immer ein Geheimnis bleiben, denn davon gibt es keine heimlich geschossenen Handybilder. Macht aber auch nichts, so schön war’s da drin nicht. Trotz der 50 Flaggen aller Bundesstaaten und den Toilettentüren, die automatisch aufgingen.


Ein positiver Nebeneffekt meiner unfreiwilligen Reise nach Frankfurt war allerdings, dass ich diese Stadt, an die ich nicht die besten Erinnerungen hatte, noch einmal mit anderen Augen sehen konnte. Der Umzug der Johann Wolfgang Goethe Universität an den Campus Westend, an dem ich schon „damals“ studiert habe, macht rasende Fortschritte (inklusive Neubauten aller Art), und das Essen in der Mensa ist immer noch so lecker, wie ich es in Erinnerung hatte (da haben mich Frankfurt und die Mensa in Osnabrück ja verdorben, weil verwöhnt; das Essen in der Mensa Tübingen war für mich nicht zu ertragen, das verdiente nicht mal den Namen „Essen“, schon gar nicht bei den Preisen!). Außerdem kenne ich ein paar wirklich tolle Leute in Frankfurt, die ich nie wieder fast acht Jahre aus den Augen verlieren will! Überhaupt: it’s all about the people, das hab ich endlich verstanden. Dafür brauchte es nicht mal den Twisted Dragon mit Rum anstatt Gin, den Rum Old Fashioned und sieben verschiedene Tequilas aus dem „grundheef“ in Alt-Sachsenhausen.

Nach vier Tagen Frankfurt hatte ich also die Einreise in das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ (nie klang dieser Ausdruck so hohl wie heutzutage) gesichert, aber eine Unterbringung in Atlanta hatte ich immer noch nicht. Und außerdem musste ich mein Leben aussortieren und in Kisten packen, die Kuppe des Berges war noch nicht erreicht.
Aber das Ende dieses ersten Eintrags schon...

Mehr Geschichten von meinem „Abzug“ aus Tübingen, Girl Power und Wohnungssuche in Atlanta kommen bald… stay tuned!